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Jul 20

Wie nähere ich mich als männliche Führungskraft einer derartigen Problematik in einem weitgehend von Frauen dominierten Umfeld?  Vorab einige Informationen, die mir eine Mitarbeiterin, zusammengetragen hat:

"In den meisten Fällen sind es Männer die Frauen belästigen.

Es gibt die umgekehrte Form, doch die Zahl ist verschwindend klein. Bei einer Umfrage mittels Fragebogen haben 59% der befragten Frauen angegeben, in den letzten 2 Jahren an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein. Ohne zeitliche Limite sind es sogar 71%. In 52% handelt es sich um Belästigung auf der gleichen Hierarchiestufe. 21% geben an von einem Vorgesetzten belästigt zu werden.
Bei sexueller Belästigung geht es um Macht-Ausübung auf sexueller Ebene, da dieser Punkt sehr verletzlich ist. Durch die Emanzipation der Frauen haben Männer Macht verloren, welche manche durch sexuelle Belästigung wieder versuchen zurück zu gewinnen. Die Frauen schämen sich und haben Schuldgefühle, was zum Schweigen führt. Sie zweifeln an, ob man ihnen Glauben schenkt. So haben zum Beispiel neue Mitarbeiterinnen Angst ihre Stellung zu verlieren. Im weiteren neigen Opfer dazu, ihren Täter schützen zu wollen im Sinne des nicht auslösen wollen des rollenden Steins."

Aus den Führungsordner des Krankenhauses:

...Vorgesetzte sind sich ihrer Verantwortung und Pflichten bezüglich der Vermeidung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bewusst:
*sie haben Faktoren und Situationen, die zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz führen oder diese begünstigen, zu vermeiden und zu unterbinden

*sie haben ihre Mitarbeitenden vor sexueller Belästigung durch PatientInnen und mitarbeitende  KollegInnen zu schützen... und

...ArbeitskollegInnen haben die Pflicht, diejenigen Person, die sich sexuell belästigt fühlt, zu unterstützen.... sowie

...Sexuell belästigte Mitarbeitende können sich an die Personalberatung  wenden. Die Personalberatung ist zu Stillschweigen gegenüber jeder Person verpflichtet. Zusammen mit ihr legt die belästigte Person das weitere Vorgehen fest.“

Aus diesen Aussagen habe ich mein weiteres Vorgehen abgeleitet:

Der erste Schritt:
Schaffung einer neuen Funktion als Vertrauensperson und Ansprechpartnerin für das Problem der sexuellen Belästigung.

Für mich macht es mehr Sinn, die  Ansprechpartnerin direkt in der Klinik zu haben als irgendwo in einem Büro, bis zu 10 Laufminuten entfernt vom Arbeitsplatz.

Der zweite Schritt:
Eigenschaften dieser Vertrauensperson. Was soll sie mitbringen? Für mich standen im Vordergrund:

  • Selbstvertrauen und damit Selbstbewusstsein
  • eine gehörige Portion gesunden Menschenverstand
  • offen und Kommunikativ
  • aktive + passive Zuhörerin
  • hoher Beschäftigungsgrad
  • Authentisch
  • Vertrauensvoll
  • Lebenserfahrung in vielen Bereichen
  • Eigenständigkeit

Der dritte Schritt:
Die Vertrauensperson suchen und finden.
Eine Mitarbeiterin der Abteilung stellte für mich die Idealbesetzung dar. Nicht nur, weil sie für mich alle Eigenschaften erfüllte, sondern dazu kam noch eine Intuition, ein Gefühl, welches mir sagte: Hier ist der Mensch, den Du fragen musst. Und sie hat sich recht schnell für ein Ja entschieden. Es passte einfach alles.

Der vierte Schritt:
Gemeinsam mit der Vertrauensperson legte ich die Rahmenbedingungen fest, unter denen die Arbeit stattfinden sollte:

  • Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann in der Arbeitszeit  erfolgen  oder als Überzeit aufgeschrieben werden
  • Jeder Aufwand in dieser Funktion ist Überzeit, auch ausserhalb der Arbeitszeit
  •  Weiterbildungen zu diesem Thema werden von der Klinik  finanziell getragen
  • Fachpersonen zu dieser Thematik können konsultiert werden
  • Die  Rollenbeschreibung der Stelle wird öffentlich in den Büros ausgehängt.
  •  Falls nötig oder erwünscht steht eine persönliche Supervision zur Verfügung. Termine können selbständig vereinbart werden. (Kontakt: mail, Telefon, Fax, Natel)
  •  Bücher zu diesem Thema können über die Pflegeleitung der Klinik bestellt werden
  •  Unterstützung durch die Vorgesetzten ist selbstverständlich.
  •  Nicht möglich ist eine finanzielle Entschädigung für diese Funktion
  •  Im Dezember findet jährlich eine Auswertung der Arbeit als Vertrauensperson für sexuelle Belästigung  statt. Diese erfolgt im Rahmen eines Gesprächs zwischen der Pflegeleitung und der Stelleninhaberin
  • Die Arbeit selbstständig planen und durchführen.

Der fünfte Schritt:
Erstellung einer  Stellenbeschreibung durch die neue Stelleninhaberin und die Ermittlung des Status quo: Wie ist der aktuelle Kenntnisstand?

Der sechste Schritt:
Erstellen einer Informationsbroschüre über das Thema mit Informationen, an wen sich jeder wenden kann bei Fragen und Unsicherheiten im Umgang untereinander.

Der siebte Schritt:
Informationsnachmittage durchführen und das Informationsmaterial in der Klinik verteilen und öffentlich in den Büros und gemeinschaftlichen Einrichtungen aushängen.
Vertrauensperson stellt sich,  ihre Arbeit und ihre Motivation vor; dies an den pflegerischen Rapporten, wie auch auf ärztlicher Ebene.

Nach der Implementierung legte ich alle Unterlagen und Überlegungen zu diesem heissen Eisen meiner fachlichen Vorgesetzten vor.
Ein paar Wochen später erhielt ich beiläufig an einem informellen Treffen folgende Rückmeldung:
" Ich verstehe nicht, warum Du dir solche Überlegungen machst. Wir haben doch eine Anlaufstelle in der Gesamt-Klinik und damit der gesetzlichen Grundlage genüge getan...."
Mein Führungsverständnis sagt mir, dass wir als Führungskräfte mehr als nur die "gesetzliche" Grundlage oder das Minimum im Auge haben sollten. Egal um welchen Bereich es sich handelt.

In diesem Sinne
GBS

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